Quelle: Handwerkskammer für Ostfriesland
„Baumaterialknappheit, exorbitant gestiegene Preise, unterbrochene Lieferketten führen dazu, dass Betriebe Termine und Preiskalkulationen oft nicht mehr halten können“, so der Präsident des Zentralverband des Deutschen Handwerks (ZDH) Hans Peter Wollseifer.
Liegen diese Preissteigerungen noch in einem „normalen Rahmen“ verglichen mit anderen Krisen? Gab es so eine Preissteigerung schon einmal?
Preissteigerungen in einzelnen Materialsektoren gab es auch in der Vergangenheit, aber noch nie in dieser Breite der betroffenen Materialien und Produkte. Die Knappheit zieht sich aktuell durch alle Bereiche – das geht von Holz über Metall bis hin zu Kunststoffprodukten. Betroffen sind damit nicht nur die Bau- und Ausbauhandwerke, die die Pandemie bislang vergleichsweise gut überstanden haben. Die aktuelle Dynamik trifft auch die Zulieferer für die Automobilindustrie und etwa auch das Elektrohandwerk mit einer Knappheit bei Kabeln, Chips oder aus Kunststoffen gefertigten Schaltern. Dem Malerhandwerk fehlen Styropor-Dämmstoffe genauso wie mineralische Dämmstoffe, die zum Teil aus Holz und Steinwolle hergestellt werden. Das Problem besteht auf allen Ebenen und wirkt sich derzeit massiv auf unsere Betriebe aus. Bei nicht wenigen Betrieben des Bau- und Ausbauhandwerks brennt im wahrsten Sinne des Wortes die Hütte und ist diese Entwicklung inzwischen sogar bereits existenzbedrohend.
Welche Auswirkungen hat die Materialknappheit für Handwerksbetriebe?
Die Knappheit insbesondere von Baumaterialien und die damit verbundenen exorbitanten Preiserhöhungen führen verbunden mit unterbrochenen Lieferketten dazu, dass Betriebe Termine und Preiskalkulationen nicht mehr einhalten zu können. Widersinnig an dieser Lage ist, dass es besonders die Betriebe aus dem Bau- und Ausbau betrifft, die eigentlich volle Auftragsbücher haben und gerade im vergangenen Jahr die Handwerkskonjunktur stabilisiert haben. Sie sehen sich plötzlich in der misslichen Lage, dass Kostenvoranschläge und längerfristige Angebote unverschuldet zur Makulatur werden und sie Aufträge nicht termingerecht und preisangemessen erfüllen können. Es ist für die Betriebe schwer, von bereits vereinbarten Festpreisen für Material in bestehenden Verträgen wieder abzukommen, sodass sie dann auf den Mehrkosten beim Einkauf von Material sitzenbleiben. Bei Neuaufträgen werden langfristige Vertragsbindungen erschwert, weil die Betriebe ihren Kunden fast nur noch Tagespreise offerieren können. Für die Kunden kommt es im Ergebnis zu rasanten Teuerungsraten bei Neuinstallationen, Renovierungen oder Instandsetzungen. Das ist eine Entwicklung, die weder für Kunden noch Betriebe angenehm und tragbar ist, und wie wir sie in den letzten Jahren und Jahrzehnten noch nicht erlebt haben.
Was könnte noch kommen, sprich auf was müssen sich Handwerksbetriebe einstellen?
Manche Betriebe mit vollem Auftragsbuch mussten bereits Kurzarbeit anmelden, weil das Material einfach nicht zu beschaffen war. Auf ersten Baustellen droht wegen des Materialmangels ein Baustopp. Wenn die aktuellen Materialengpässe nicht zeitnah aufgelöst werden können, bedeutet das bald den Stillstand bei Eigenheimen, Wohnungsbauprogrammen und energetischer Sanierung. Auch Insolvenzen können nicht gänzlich ausgeschlossen werden, die dann absurderweise mehrheitlich an sich gesunde Betriebe betreffen würden. Hier besteht dringend und unmittelbar politischer Handlungsbedarf.
Was kann und sollte die Politik tun, um Abhilfe zu schaffen?
Die Politik muss jetzt alle ihr zur Verfügung stehenden Hebel in Bewegung setzen, um dieser international komplexen Entwicklung auf nationaler Ebene schnell zu begegnen und entgegenzuwirken. Dazu gehört es für den Rohstoff Holz in Deutschland etwa, das Holzeinschlagsverbot in den Waldbeständen von Bund, Ländern und Kommunen so schnell wie möglich einzustellen. Fallen die jüngst eingeführten Begrenzungen wie geplant erst Ende September, steht uns das dann verarbeitete Holz erst zu Beginn des kommenden Jahres zur Verfügung. Das ist für unsere Betriebe zu spät und wir müssen jetzt direkt handeln. Hier steht der ZDH mit der Politik zu Lösungswegen im Dialog und setzt sich gemeinsam mit der Handwerksorganisation dafür ein, auch die Betriebe und Vertragspartner für die Gesamtthematik umfassend zu sensibilisieren.Was Aufträge aus öffentlicher Hand anbelangt, darf es jedenfalls keinesfalls dazu kommen, dass Handwerksbetriebe zusätzlich mit Vertragssanktionen belegt werden, wenn sie aufgrund der aktuellen und akuten Materialengpässe in Leistungsverzug geraten. Da hat die öffentliche Hand eine wichtige Vorbildfunktion, an der sich dann hoffentlich auch private Bauherren orientieren. Wir prüfen zudem gerade, ob und inwieweit Preisgleitklauseln problementschärfend genutzt werden können und die öffentliche Hand als Auftraggeber zusätzliche Preisspielräume eröffnen muss.Auf längere Sicht hin ist davon auszugehen, dass sich der Markt ab einem bestimmten Zeitpunkt zwar wieder beruhigen wird. Es besteht allerdings die Gefahr, dass das aktuell gestiegene Preisniveau sich nach einem Rückgang in manchen Bereichen auf einem höheren Niveau stabilisiert als vor der Entwicklung. Auch das würde Auswirkungen auf die Handwerkskonjunktur haben.
Welchen Tipp/Tipps haben Sie für Handwerksbetriebe, um möglichst unbeschadet aus der Krise zu kommen?
Sinnvoll ist es, seine Vertragspartner und Kunden direkt anzusprechen und dafür zu sensibilisieren, dass die aktuelle Entwicklung für den Moment Investitionen erschwert. Auftraggeber müssen verlängerte Lieferzeiten einkalkulieren und zum Teil auch Teuerungen in Kauf nehmen. Und zwar nicht, weil ein Betrieb plötzlich seinen Gewinn maximieren will, sondern weil es für ihn derzeit keinen anderen Weg gibt, die Preissteigerungen durch Preisanpassungen zu kompensieren. Für bestehende Verträge können sich die Vertragspartner möglicherweise auf eine Nachverhandlung verständigen. Betriebe sollten sich darüber hinaus über langfristige Vertragsbindungen und Preiskalkulationen informieren. Die Handwerkskammern, Kreishandwerkerschaften und Innungen vor Ort unterstützen sie dabei.